Literatur Rezension Tipp

Rezension: Die Entdeckung der Langsamkeit

Mai 31, 2013

„Die Entdeckung der Langsamkeit“ war der größte Erfolg des Historikers und Autors Sten Nadolny. Die Romanbiografie über den britischen Konteradmiral und Polarforscher Sir John Franklin besticht durch Nadonlys poetische Sprache, die den Rhythmus des Lesers beeinflusst und ihn immer mehr Gefallen an der Langsamkeit finden lässt. Ganz bewusst verbindet der deutsche Autor präzise recherchierte Daten und Ereignisse aus dem Leben des Polarforschers mit fiktiven Romanpassagen, die seinen Gedanken entspringen.
John Franklin wird von seinen Mitschülern und seiner Familie wegen seiner scheinbaren Begriffsstutzigkeit gehänselt und unterschätzt. Diese Begriffsstutzigkeit kommt jedoch durch die große Sorgfalt seines Gehirns zustande. John kann nicht mehrere Ereignisse gleichzeitig beobachten und keine schnellen Bewegungen wahrnehmen. Erregt ein Ereignis oder eine Person sein Interesse, konzentriert sich sein Gehirn auf kleine Details und stetige, langsame Veränderungen. Durch viele Beobachtungen, ein gutes Gedächtnis, Stetigkeit, Zielstrebigkeit, Ausdauer und Willensstärke schafft John es die große Sorgfalt seines Gehirns zu nutzen und in großes Wissen umzuwandeln. Er entwickelt seine eigene, ganz persönliche Geschwindigkeit.

Die Handlung:
Nachdem John Franklin sich mit 14 Jahren für eine Karriere als Seefahrer entschließt, umsegelt er mit seinem Onkel Matthew von 1801 bis 1803 Australien. Er nimmt an der Schlacht von Kopenhagen und New Orleans teil, ohne jemals Gefallen an dem Leben auf einem Kriegsschiff zu finden. Als er sich gegen einen dänischen Seemann wehren möchte und ihn an der Kehle packt, bemerkt er viel zu spät den Dänen getötet zu haben. Durch seine Langsamkeit hat er es nicht geschafft rechtzeitig, vor dem Einsetzen des Todes loszulassen. Dieses Ereignis prägt den jungen John Franklin sehr. Dank seines ehemaligen Lehrers erkennt John schnell, dass er mit dem schnellen Tempo eines Kriegsschiffes nicht mithalten kann und entdeckt seine Leidenschaft für die Forschung. Dr. Orme erkennt die Fähigkeiten, die John in sich trägt früh und ermutigt ihn die Sorgfalt und Intelligenz seines Gehirns zu nutzen. Die erste Polarreise, die 1818 unter John Franklins Kommando läuft, wird zu einer verheerenden Expedition. Das Ziel der Expedition, die Nordwestpassage erstmals in ost-westlicher Richtung zu durchsegeln und kartografisch zu erfassen, wird nicht erreicht. Der Großteil der Besatzung verhungert. Die Überlebenden ernähren sich von Algen und den Ledersohlen ihrer Schuhe. John Franklin kehrt als „Der Mann, der seine Schuhe aß“ zurück nach London. Nachdem er den Reisebericht „Bericht über eine Reise zu den Küsten des Polarmeers“ veröffentlicht, sieht niemand mehr den gescheiterten Forscher in ihm. In England wird er zu einem berühmten, tapferen Mann. Viele Jahre später, nachdem er versucht hat neue Gesetze für Häftlinge und neue Schulformen durchzusetzen, tritt er seine letzte Expedition an. Seine zweite Ehefrau und seine kleine Tochter lässt er zurück. Auf die berühmte „Franklin – Expedition“ bereitet er sich minutiös vor. Noch einmal möchte er mit einer starken Besatzung versuchen den Seeweg zu finden, der nördlich des amerikanischen Kontinents den atlantischen mit dem pazifischen Ozean verbindet. Er will den kürzesten Seeweg nach Asien finden. Auf der langen Reise erleidet John Franklin zwei Schlaganfälle, an deren Folgen er auch stirbt. Die ganze Besatzung stirbt kurze Zeit später in den kanadisch – arktischen Archipel, der nördlichen Inselwelt Kanadas, an den Folgen der „kleinen Eiszeit“ und Skorbut.
Sten Nadolny wandelt den Gegenstand über den er schreibt, die Langsamkeit John Franklins und seine Suche nach der richtigen Geschwindigkeit auch in einen ebenso langsamen, genauen und vom Blickfeld eingeschränkten Schreibstil um. Er berichtet eigentlich nur von einem Ereignis, der Suche nach dem eigenen Rhythmus. Er vermittelt dem Leser Muße. Muße sich auf wenige Dinge zu besinnen, sie in ihrer Gesamtheit zu erfassen und in sich aufzunehmen, bis ins kleinste Detail verstehen zu können. „Die Entdeckung der Langsamkeit“ ist ein poetischer Abenteuerroman, bei dem der Leser nicht nur viel über das Segeln und Seewege lernt, sondern noch mehr über die Kunst in seiner eigenen Geschwindigkeit zu leben, sich von anderen Menschen nicht beirren zu lassen, neugierig und wissbegierig zu sein. Ein wunderschönes Buch! John Franklin wächst einem von Seite zu Seite mehr ans Herz. Sein Sinn für seine Mitmenschen und sein bedächtiger Umgang mit den Dingen machen ihn zu dem menschenfreundlichsten und klügsten Protagonisten, von dem ich seit langer Zeit gelesen habe.
Danke an meinen liebsten Papa. Er hat mir dieses Buch ans Herz gelegt und mich für den hoch sensiblen und bedächtigen Inhalt empfänglich gemacht.

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