Literatur

Rezension: Das Herz ist ein einsamer Jäger!

November 27, 2013
„Das Herz ist ein einsamer Jäger“ schrieb Carson McCullers im zarten Alter von 23 Jahren. Dass sie mit diesem Roman 1940 zu einem Wunderkind der Literatur ernannt wurde, verwundert mich nicht. In ihrem ersten Roman hat sie sich dem Thema der Einsamkeit und dem Phänomen des Außenseitertums angenommen. Sie bewegt sich in der Welt dieser Menschen nicht wie eine Fremde, sondern wie ein verstehender, mitwissender Beobachter. Sie scheint die Sehnsüchte, Wünsche und Ängste der Außenseiter zu kennen, sie zu teilen und auch das Schöne und Besondere daran zu erkennen. 

John Singer lebt mit seinem besten Freund, Spiros Antonapoulos, ein glückliches und bescheidenes Leben. Die Taubstummen sind ein eingespieltes Team und leben nicht nur wegen ihrer ganz eignen, stummen Art der Kommunikation zurückgezogen. Sie genügen einander und sind zufrieden mit dem, was sie haben. Als Spiros Antonapoulos immer vergesslicher wird und nicht mehr allein gelassen werden kann, wird er von seinem letzten Familienangehörigen in eine Irrenanstalt überwiesen. Für John Singer ist das ein schwerer Schlag. Er gibt die gemeinsame Wohnung, das gemeinsame Leben auf, zieht in eine Pension und arbeitet sehnsüchtig auf seine nächsten Ferien hin, damit er seinen Freund in der fern gelegenen Anstalt besuchen kann. 
Singer erregt in der kleinen kargen Stadt in der er lebt, irgendwo im US-Staat Georgia, immer mehr Aufmerksamkeit. So sieht zwar jeder Bewohner der Stadt im tiefen heißen Süden der USA etwas anderes in dem taubstummen Mann, aber jeder das, was er sehen will. Jeder gibt vor Singer, seine Wünsche, seine Gedanken und seine Biografie zu kennen. Um ihn entstehen viele Geschichten, die in den Straßen der kleinen Stadt zu hören sind. 
Die junge Mick Kelly träumt in Sinfonien und von einem eigenen Klavier. Heimlich schleicht sie sich in fremde Gärten, um von dort aus dem Radio fremder Menschen zu lauschen. Sie versucht in jeder freien Minuten, die ihr bleibt eigenen Stücke zu komponieren und so viel Radio zu hören, wie es nur möglich ist. Nachdem John Singer ein Radio kaufte, sitzt sie jeden Nachmittag in seinem Zimmer, um den Klassiksender zu hören. Für sie bedeutet John Singer Hoffnung auf eine Zukunft als Komponistin und Musikerin. Jake Blount trifft zufällig auf den gütigen Singer. Sturzbetrunken erkennt er in dem Taubstummen einen Wissenden. Einen Menschen, der sein marxistischen Weltbild versteht und die Ungerechtigkeiten der Gesellschaftsstruktur Ende der dreißiger Jahre durchschaut. Für Jake Blount ist Singer ein verbündeter Sozialrevolutionär. Der Arzt Benedict Copeland kämpft bereits sein ganzes Leben lang gegen die Unterdrückung von Schwarzen. Für ihn ist John Singer der erste Weiße, von dem er sich verstanden und akzeptiert fühlt.
Alle Protagonisten des Buches, eine lose Gruppe von Menschen, begegnen sich auf dem Weg zu John Singer. Er ist die Verbindung zwischen der talentierten Mick Kelly, dem revolutionärem Jake Blount und dem visionären Dr. Copeland. Singer spendet Hoffnung und Trost, bleibt aber selbst unverstanden. Für die Protagonisten ist er, der Taubstumme Mann aus der Nachbarschaft, die Möglichkeit ihre Sprachlosigkeit zu überwinden. 
Carson McCullers hat mit „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ nicht nur einen fantastischen, einfühlsamen Roman, sondern auch eine Schrift, die Kritik am Kapitalismus, Rassismus und der Verlorenheit der Menschen übt, geschrieben. Obwohl das Buch mittlerweile über 70 Jahre alt ist, ist die Thematik immer noch aktuell. Das macht wohl einen guten Schriftsteller und seine Bücher aus: Sie treffen den Nagel, auch nach Jahrzehnten, auf den Kopf. Neben der Handlung, der schwermütigen Thematik und den einsamen Charakteren, könnte ich mich noch weitere 100 Zeilen über ihre sprachliche Wucht auslassen, aber das würde den Rahmen wohl vollends sprengen.
Unbedingt lesen!

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